Damit meine ich das schlechte Gewissen, das sich einstellt, nachdem wir besonders streng mit den Mädchen sein mussten, sie ermahnen und sogar Strafen zu verteilen hatten. Denn bei 50 Kindern kommt es oft vor, dass man, wenn etwas schief läuft, nicht immer die Urheber des Problems findet und dann alle Kinder von den Konsequenzen betroffen sind.
Eine solche Situation gab es erst neulich. Jeden Abend zwischen 5 und 6 Uhr können sich die Mädchen aus dem Spieleschrank Barbies, Puzzles und andere Spiele ausleihen, die sie dann am Ende wieder ordentlich zurück bringen sollen. Über einen längeren Zeitraum hinweg haben wir jedoch bemerkt, dass immer mehr der Sachen nicht ordentlich aufgeräumt und eingeräumt wurden, unvollständig waren oder einfach draußen zurück gelassen wurden. Aber natürlich wollte es niemand gewesen sein. Die Konsequenz daraus war dann, dass die Mädels eine Woche keine Spiele mehr bekommen sollten. Das Verbot traf dabei jedoch auch viele der Kinder, die sich an die Regeln hielten und ihre Sachen immer zurück brachten.
Wenn also diese Kinder abends um 5 Uhr zu mir kamen, um sich ein Spiel auszuleihen und sie nach dem Grund fragten, wieso es diese jetzt nicht mehr gibt, fiel es mir gegenüber den Mädchen besonders schwer, die sonst immer ihre Sachen ordentlich erledigten und sich an die Regeln hielten. Denn ich hatte keine weiteren Argumente dagegen, wenn sie beteuerten, sich immer daran gehalten zu haben, weil ich ja wusste, dass sie Recht hatten.
Natürlich hatte ich mich irgendwie darauf eingestellt, dass bei 50 Kindern nicht immer alles rund läuft und dass es nicht immer nur Spaß und gute Laune geben würde, sondern auch mal dicke Luft und Ärger. Aber trotzdem fällt es mir immer schwer, streng zu sein und konsequent gegenüber allen Verbote auszusprechen. Insbesondere, weil ich irgendwie immer Angst habe, die eben aufgebaute Bindung zu den Mädels verlieren zu können.
Vermutlich befinde ich mich gerade an einem Punkt an dem alle Eltern im Laufe ihrer Kindererziehung stehen. Man ist sich bewusst, dass die Kinder Regeln brauchen, eine feste und klare Struktur, die ihnen die Richtung für den späteren Alltag als Erwachsener gibt. Aber trotzdem ist einem die Bindung zu den Kindern wichtig, die frisch gewonnene Zuneigung und Sympathie möchte man auf keinen Fall aufs Spiel setzen oder gar verlieren. Man hat Angst, dass die Kinder einen nach dem Ärger nicht mehr mögen könnten.
Als wir jedoch an diesem Abend die Treppen zu unserer Praktikantenwohnung hinauf gingen, steckte mir ein besonders großer Kloß im Hals. Das schlechte Gewissen plagte mich. Waren wir vielleicht doch zu streng und penibel? Hatten wir vielleicht doch zu sehr auf den Regeln beharrt? Ich machte mir Sorgen darüber, dass die frisch aufgebaute Bindung zu den Mädels an diesem Abend vielleicht zerbrechen würde und der nächste Tag ohne ihr Lächeln im Gesicht vergehen und sie mich nicht mehr zu ihren Spielen einladen würden.
Ich bin nun besser gewappnet für die nächste Situation und kann beim nächsten Mal hoffentlich etwas besser schlafen.
Liebe Grüßa aus dem Angels Home,
Julia.